Nach einer einjährigen Pause (2004 fand kein Jugendcamp statt) gab es nun wieder ein zweiwöchiges Jugendcamp für hörgeschädigte Jugendliche von 15-19 Jahren aus ganz Deutschland.
Vor dem Jugendcamp hatte ich durch einen Sehen-statt-Hören-Beitrag und von Erzählungen Bekannter darüber erfahren. Mein Eindruck war zunächst anhand besagter Quellen, dass beim Jugendcamp die Jugendlichen zu streng behandelt werden würden. Ich wollte mir jedoch mein eigenes Urteil fällen und bewarb mich als Betreuerin. Okay, nach zweieinhalb Tagen Betreuerschulung konnte ich nun sehen, wie das Jugendcamp wirklich war:
Das Hubertushaus, wo das Jugendcamp stattfand, befindet sich 1300 Meter über dem Meeresspiegel. Die Gegend ist von bewaldeten Gebirgen, deren Ausläufer bis nach Österreich gehen, geprägt und hauptsächlich von Wanderkühen bevölkert. In der unmittelbaren Nähe lockte ein in der Regel eiskalter Moorsee zum Baden. Das Land um das Hubertushaus bietet viel Platz zum Wandern, Spielen, Toben oder um einfach die Natur zu genießen. Das Haus selbst ist ebenfalls geräumig und es gab jeden Tag kräftiges Essen. Das Ehepaar, das uns durch die zwei Wochen hindurch bewirtschaftete, war sehr warmherzig und offen gegenüber uns Hörgeschädigten und scheute keine Mühe, uns mit gutem Essen und Materialien zu versorgen.
Unter Führung des JC-Leiters Micky Meincke und seinem JC-Assistenten bestand das Betreuerstab aus 2 Betreuern und 3 Betreuerinnen. Unter uns gab es – wie beim Jugendcamp 2003 – auch eine Betreuerin aus Amerika.
Das Wetter war wechselhaft, als die TeilnehmerInnen am Bahnhof von Oberstaufen ankamen, es gab Sonne und Regen zum Empfang. Das Kennenlernspiel verlief ein wenig trocken. So ist es immer, wenn man neue Leute kennen lernt. Ein Großteil von den TeilnehmerInnen kannte sich schon sehr gut, denn ca. ein Drittel von den insgesamt 27 TeilnehmerInnen besuchte eine Hörgeschädigtenschule in Hamburg. Der Rest setzte sich aus Jugendlichen aus Hannover, Chemnitz, Dresden, Frankfurt, Berlin und Schleswig Holstein zusammen. Erstaunlicherweise waren heuer 20 weibliche und nur 7 männliche Jugendliche dabei.
Im Laufe der Zeit musste ich eingestehen, dass feste Regeln notwendig waren, um den Jugendlichen das eingeplante Programm anbieten zu können und unsere gesetzten Ziele – unsere Fünflinge: Natur, Kultur, Bildung, Sprache und Erlebnis – zu erreichen. Pünktlichkeit war für viele ein Fremdwort und Ordnung ebenso. Traditionell standen wir alle um 7:15 Uhr morgens draußen vor dem Fahnenmast. Jeweils zwei TeilnehmerInnen präsentierten dann die zwei Morgenlieder. Anschließend gab es Frühsport, der manchmal durch unangebrachtes Verhalten oder Unpünktlichkeit verlängert wurde. Für den Frühsport konnte jede Gruppe ihre eigens entworfenen Trainingsprogramme vorlegen. Durch die Zimmerkontrolle mit entsprechender Punkteverteilung sollten die Teilnehmer lernen, das Zimmer sauber zu halten und kreativ zu dekorieren.
Jeden Tag gab es verschiedene Programmeinheiten zu erleben. Jedem Vormittag stand die Bildung zu: Workshops über Kommunikation oder Gehörlosengeschichte; Survivalstunden, in denen den TeilnehmerInnen Knoten, Feuermachen oder Erste Hilfe beigebracht wurde und Kreativstunden, wo Filmen und Fotografieren probiert werden konnten. Dieses Jahr gab es Page 2 natürlich wieder Gastreferenten: Gebärdensprachpoet Jürgen Endress, Gebärdensprachdolmetscher Holger Rupprecht und der gehörlose Psychologe Oliver Rien. Nachmittags gab es verschiedene Aktivitäten wie Wanderungen bis zum Bucheneggener Wasserfall, verschiedenste Spiele, Schwimmen im Oberstaufener Schwimmbad oder im eingangs erwähnten eiskalten See und ein Besuch der Bergkäserei mit einem Gebärdensprachdolmetscher.
Nach zwei Wochen sah ich ein, dass das Jugendcamp mit seinen Regeln von großer Bedeutung für die hörgeschädigten Jugendlichen ist. Hier konnten sie neben Ordnung und Disziplin noch viel neues Wissen aneignen. Solche Gelegenheiten hätten sie in der Schule und teilweise leider auch in ihren Familien nie bekommen. Auch ihr Bewusstsein für ihre eigene Kultur wurde dadurch sehr gestärkt. Gerade in der heutigen Zeit, wo viele Jugendlichen kaum Orientierung haben, sind solche Bildungen und Anforderungen für sie sehr wichtig. Sie geben ihnen die Möglichkeit zu erkennen wo ihre eigenen Grenzen und die der anderen sind.
Das Jugendcamp gab ihnen außerdem auch die Möglichkeit, nachzufragen, auszuprobieren und zu erleben. Während der zweiwöchigen Zeit im Hubertushaus gaben wir, der Betreuerstab, unser Bestens, den Jugendlichen so viel wie möglich von unseren fünf Ansätzen des Jugendcamps, den so genannten „Fünflinge“, zu geben: Natur, Kultur, Bildung, Sprache und Erlebnis.
Trotz launischem Wetter, blauen Flecken, Magenverstimmungen und anderen witzigen Zwischenfällen verlief das Jugendcamp zu aller Zufriedenheit sozusagen reibungslos. Im Nachhinein waren wir alle sehr traurig, als dieses zweiwöchige Abenteuer zu Ende ging. Nach dem rauschenden Abschiedsabend mit einer Miss-/Mister-Jugendcamp-Wahl, lustigen Theateraufführungen, einer Film- und Fotoaufführung und zuletzt dem Austeilen der Jugendcamp-Zeitung und den T-Shirts blieb nur wenig Zeit zum Schlafen, bevor sie früh aus den Federn raus mussten. Die Zimmer mussten aufgeräumt und ihre Sachen gepackt werden.
Die Sonne lachte zum Abschied. Zum letzten Mal standen wir um den Fahnenmast und nahmen von der Fahne, die wir jeden Frühmorgen, selbst unter Regen, begrüßt hatten, Abschied und untereinander. Am Bahnhof wurden viele von ihren erfreuten Eltern abgeholt und andere fuhren mit dem Zug nach Hause in die Ecken von Deutschland.
Adieu Jugendcamp, bis zum nächsten Jahr.
Stephanie Raith